Helsinki und Tallinn – 06. bis 10.06.2012

Weiße Nächte haben nichts mit Alpenromantik oder verschneiten kolumbianischen Nächten zu tun, sondern führten mich Anfang Juni in die Hauptstädte Finnlands und Estlands.

Kurz nach 1 Uhr nachts ist der mit immerhin zwei Gepäckbändern doch sehr überschaubare Gepäckband-Bereich des Helsinkier Hauptstadt-Flughafens  noch ein wenig ruhiger und bereitet einen Reisenden auf das vor, was einen in Helsinki erwartet –  bloß keine Hektik.

Ex-Knast in Helsinki

hinter finnischen Gardinen

Also entspannt in die Stadt und dann ab in den Knast. Zumindest den ehemaligen Knast in Katajanokka. Die ehemaligen Zellen sind inzwischen zu sehr schönen – und aufgrund der dicken Wände auch sehr ruhigen – Zimmern und Badezimmern umgewandelt worden. Dicke Stahltüren und Rezeptionistinnen in schwarz-weiß-gestreiften Sträflings-T-Shirts runden das Knast-Feeling ab. Dazu kommen natürlich klischeemäßig die Stahltreppen mit den klassischen aus Filmen bekannten Geländern, die Blechtassen und -näpfe und vor allem die echt authentisch belassenen Einzelzellen mit der Kloschüssel und einem Blechnapf mit Knäckebrot am Fußende des Bettes. Da bleibt man dann doch mit Sicherheit ein braver Bürger.

Obst in Litern

2 Liter Erdbeeren

Helsinki hat viel Wasser und eine Menge große Schiffe mitten in der Stadt zu bieten. Daneben viel dünnen Kaffee aus amerikanischen Massen-Kaffeemaschinen, ausbaufähige Ästhetik bei den Einwohnern, wenig Hunde,  trotz höllischen Bierpreisen sehr schnell trinkende Menschen in obskuren Bars, sozialistisch-faschistoid angehauchte Bauwerke (sogar die Oper sieht aus wie der örtliche Schlachthof), in 1 und 2 Liter-Einheiten verkauftes Obst und Gemüse, eine in den Fels gesprengte Kirche mit sensationeller Akkustik und wahnsinnig viele aneinander gehängte Buchstaben.

es geht auch ohne viele Worte

buchstabenreiche Nationalbibliothek

Wahnsinnig viele Buchstaben hängen übrigens auch die Esten aneinander, wie man am Beispiel der Nationalbibliothek sieht. Da sind nicht nur viele Bücher drin, sondern auch viele Buchstaben dran. Vielleicht liegt’s dran, dass hier der Wodka deutlich billiger ist und daher mehr Geld und Arbeitskraft in die Beschriftung von Hauswänden fließen kann.

Rockige Spießer-Biere aus Estland

Tallinn ist eine tolle Stadt. 80% der Altstadt sind mittelalterlich, tolle Kirchen, tolle Häuser und viele Türme, Türen und Biere mit lustigen Namen wie z.B. Rock oder Karl Friedrich. Dazu gibt’s aber auch noch von den Kreuzfahrermassen unentdeckte Alternativ-Cafés die leckere Suppen und Himbeer-Bier servieren (sehr zu empfehlen ist das Cafe nAnO in der Straße Sulevimägi, ein Künstler-Cafe mit kreativen Gerichten, tollem Innenhof und abgefahrener Inneneinrichtung).

Auch unentdeckt von den meisten Touristen bleibt wahrscheinlich die unrenovierte, nicht dem Wohlstand folgende Seite Tallinns, wo Großmütterchen auf einem noch sehr sowjetisch anmutenden Markt hinter dem Bahnhof Ihre Gartenkräuter-Bündel für 0,20€ anbieten und alles gehandelt wird, was bei uns auf Flohmärkten oder Schrottplätzen eher liegenbleibt.

Allgemein kann man in Tallinn sehr viel Altes sehen. Alte sowjetische Feuerwehrautos im Graben vor der Stadt, natürlich die alten Kirchen und Kathedralen wie die Alexander-Newsky-Kathedrale (die mit ihren 112 Jahren eigentlich noch gar nicht so alt ist) oder die Domkirche. Die wurde ca. 1233 gebaut wurde und beherbergt zumindest die Gebeine einer Menge alter Haudegen wie Admiral Krusenstern oder dem Liebhaber Katharina der Großen Admiral Greig of Fife oder dem Grundherrn Otto Johann Thuve, der heute aufgrund seiner Eigenschaft als unheilbarer Trinker und Frauenheld oft als „Don Juan Tallinns“ bezeichnet wird. Alle verstecken sich unter mächtigen Grabsteinen und bewacht von prächtigen Holzwappen der adeligen Deutschen. Und wenn schon alles alt ist, darf natürlich die älteste noch in Betrieb befindliche Apotheke der Welt, die Ratsapotheke, nicht fehlen, die es schon seit mindestens 1422 dort gibt.

Auf alt mach neu im Rotermannviertel

Aus alt machen sie aber auch neu. So ist das ehemalige Hafenarbeiterviertel Rotermani ein pulsierender Punkt für das Nachtleben, die moderne Kulturszene und holländische Käseläden. In der Altstadt kann man aber auch prima genießen, z.B. in der Straße Rataskaevu, in der in einer alten Kompressorhalle die gleichnamige Kneipe Kompressor mit Hering gefüllte Pfannkuchen und Sauerkrautsuppe kredenzt. In der ganzen Gasse gibt’s jede Menge gute Cafes und Kleinkunsttheater mit angeschlossener Kneipe.

Alkohol am Taxistand

Man wundert sich manchmal, dass man in Estland überhaupt noch was zu trinken bekommt, wenn man sieht, wie das Zeug auf den Fähren mit Sackkarren nach Finnland geschafft wird. Unglaubliche Mengen von Paletten Dosenbier und 10er Packs mit Literflaschen Wodka nehmen die zweistündige Fahrt gerne und oft in Angriff.

Da ist es sehr beruhigend, dass es in Helsinki tatsächlich doch – wenn auch sehr wässrigen – Kaffee gibt, zumindest im Café Engel direkt gegenüber vom Dom mit den angeblich besten Kuchen, im schicken Kappeli auf den Esplanaden mit den angeblich schönsten Kuppeln und im sehr urigen kleinen Café Vanille auf der Inselfestung Suomenlinna, in dem einem am schönsten erklärt wird, was die Gemeinsamkeit von Männern und Kaffee ist.

Kaffee und Männer – so müssen sie sein

In diesem Sinne war der Trip sehr lehrreich. Jetzt weiß ich wenigstens, wie Frauen uns wahrnehmen – sie denken einfach in Dimensionen von Kaffee und Schokolade.