Warum in die Ferne schweifen…

…wenn die (Wahl-)Heimat so nah liegt und auch schöne Geschichten bietet.
Wobei mein derzeitiger Wohnort Wien ja für manchen in Kiel oder aus den dortigen Quasi-Nachbardörfchen Kalifornien und Brasilien durchaus eher fern ist.

Und das wohl nicht nur geografisch. Auch sprachlich findet sich der Deutsche in Wien manchmal in einer anderen Welt wieder. Beispielsweise im Restaurant, wo er beim Lesen der Speisekarte manchmal wünscht, er wäre in einem Thai-Restaurant. Denn dort weiß er dank der heutigen globalisierten Welt zumindest oft schon, was ihn bei Tom Yam oder Phat Thai erwartet.
Wohingegen er bei Blunzengröstel mit Kren (angebratenes Blutwurst-Kartoffel-Gemisch mit Merrettich), Vanillerostbraten (wie ein Zwiebelrostbraten nur mit Knoblauch drauf), Faschiertem Laibchen (Frikadelle/Bulette), Beuschel (Lunge) oder Stelze (Haxe) mit Erdäpfel-Vogerlsalat (Kartoffel-Feldsalat) vielleicht vor einer kleinen Herausforderung in der eigenen Sprachfamilie steht.

Leider hilft die Flucht ins Selberkochen auch nicht. Denn auf dem Markt muss er sich dann mit Paradeisern (Tomaten), Melanzani (Aubergine), Karfiol (Blumenkohl), Fisolen (Bohnen) oder Eierschwammerln (Pfifferlinge) rumschlagen. Beim Obst ist er meist genauso aufgeschmissen, so dass das Dessert auch nicht einfacher zum Einkaufen wird – weder auf dem Markt mit Ribisel (Johannisbeeren), Weichseln (Sauerkirschen), Kriecherl (Mirabellen) und Marillen (Aprikosen) noch in der Bäckerei mit Powidlgolatsche (Plunder mit Pflaumenmuß), Topfenstrudel (Quarkstrudel) und Mohnzelten (mit Mohn gefüllter Kartoffelteig aus dem Waldviertel).

riesige Tomaten

das kleine da unten ist tatsächlich ein normaler Haustürschlüssel

Auch am Wurststand macht der Österreicher dem vermeintlichen Parade-Land der Wurstkultur – also Deutschland – starke Konkurrenz. Allerdings muss man hier als Teutone schon wissen, was man denn gerne haben möchte. Burenwurst, Pusztawurst, Waldviertler, mit Pfefferoni und Salzgurke oder pur, mit Kren oder einem Estragonsenf, als Hot Dog oder mit einem Scherzerl Brot. Und wenn man dann auch Stufe 2 der Wiener Wurststandphiliosophie erfolgreich absolviert hat, kann man sich „a Eitrige mit an Schoafn, an Bugel  und an 16er-Blech“ bestellen – nämlich „eine Käsekrainer mit scharfem Senf, einem Brotanschnitt und einer Dose Ottakringer Bier“.

Immerhin freut man sich beim Heurigen oder in Wanderhütten im Herbst sogar über einen Sturm – das ist hier nämlich ein Federweißer. Aber auch schon vorher, wenn ab Frühjahr ausg‘steckt is‘ – also wenn der Buschenschank oder der Heurige im Frühjahr bis Sommer geöffnet sind – gibt’s leckere Sachen. Je nach Heurigem heißt ein Sommerspritzer – also ein Weißwein mit viel Mineralwasser – auch mal Badewanne oder Überschwemmung.
Da nehmen sie es also nicht so streng wie bei den angebotenen Speisen. Denn dass in einem Buschenschank ausschließlich bestimmte und dazu noch kalte Speisen angeboten werden dürfen, ist sogar in §10 Abs. 2 des Wiener Buschenschankgesetzes geregelt. Dafür braucht’s dann aber – wieder schön inkonsequent – noch nicht einmal eine Gastgewerbekonzession.

Bei den für Heurige typischen Aufstrichen traut man sich dann auch an karibische oder alkoholische Varianten. Der Phantasie ist keine Grenze gesetzt – auch nicht bei den Speisekarten, wo man auch ein „nackertes“ oder „mag kein Brot“ bestellen kann.

a nackertes Brot

wer „nix“ mag, zahlt auch nix

Politisch korrekt findet man inzwischen auf den Speisekarten einen „warmen Schokoladenkuchen mit Schlagobers“ statt des früheren Begriffs „Mohr im Hemd“. Wenn das Pipi Langstrumpfs Vater – der heutzutage in Südseekönig umgetaufte Efraim – wüsste… Aber den österreichischen Namen der in Deutschland als Langnese bekannten Eismarke „Eskimo“ haben sie komischerweise noch nicht in „Inuit“ umbenannt.

Somit kommen wir zu einem schönen Wiener Phänomen – der Inkonsequenz. Denn ein weiteres Beispiel der politischen Unkorrektheit findet man wohl auch bei einem Betrieb im Umland, der seine Waren wie andere Firmen auch in einem Zentrallager verwaltet. Leider ist der Name dieser Firma aus geschichtlicher Sicht aber nur mit etwas politischem Bauchgrummeln mit dem Wort Zentrallager zu kombinieren.

keine schöne Kombination

aus der Geschichte könnte man eigentlich auch mal lernen…

Das politische Bewusstsein drückt sein rechtes Auge also nicht nur in Wahlkampfzeiten gerne einmal zu. Wer zum Beispiel ein großes Öl-Gemälde vom Adolf über den Kamin hängen möchte, wird von Zeit zu Zeit sogar auf dem Flohmarkt des Wiener Naschmarkts fündig.
Aber auch die weltoffene Seite ist erkennbar, wenn man ein wenig aus dem Stadtzentrum herausgeht. Böse Zungen behaupten ja, dass Wien schon auf dem Balkan liegt. Manchmal liegt es aber in den zweistelligen Bezirken sogar noch ein paar Kilometer weiter südöstlich. Würde man nicht das Wörtchen „Eingang“ am Schaufenster des Trachtenmodengeschäfts erkennen können, würde man meinen, eher in Ankara als in Wien-Ottakring zu sein…

Sultan von Ottakring

der kleine Prinz von Ottakring

Nicht immer ist die Inkonsequenz politisch. So nimmt zum Beispiel das Dörfchen Laxenburg mit vollem Stolz am Programm „Blühendes Österreich“ teil. Die Umsetzung am Schlossplatz lässt mit einer Absenz jeglichen Grüns auf dem Schlossplatz allerdings ein wenig zu wünschen übrig.

blühendes Österreich in Laxenburg

da stehts schwarz auf weiß – bunt soll’s sein

Warum wohl die Kot-Beseitigung zum Wohle der Hunde und nicht dem Menschen zu liebe geschieht, ist auch noch zu ergründen…

dem Hund zu liebe?

Hau weg die Sch… – dem Hund zu liebe…?